Stuttgart - Zweifellos habe das Kind bei seiner Geburt gelebt, sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Vögele am letzten Tag der Verhandlung gegen die junge Frau, die sich seit einer Woche vor der 4. Großen Jugendkammer des Stuttgarters Landgerichts verantworten musste.
Wegen fahrlässiger Tötung wurde die Frau zu einem Jahr und sechs Monaten Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Sehr genau habe die Kammer hinschauen müssen, um über das Urteil in diesem Fall zu entscheiden, so Vögele.
Vor allem musste das Gericht im Verlauf der zwei Verhandlungstage klären, ob die mittlerweile 19-Jährige im Februar dieses Jahres ihr Neugeborenes erstickt hat. So sah es der Staatsanwalt, der für die Frau drei Jahre Jugendstrafe wegen versuchten Totschlags gefordert hatte.
Mutter hat ihr Baby in der Dachrinne abgelegt
In der Stuttgarter Wohnung, in der die Angeklagte gemeinsam mit ihrer Mutter und drei ihrer Geschwister wohnt, hat die junge Frau den Jungen in der Toilette auf die Welt gebracht. Weil das Kind keinen Mucks von sich gegeben habe, habe sie geglaubt, dass es tot sei, gab die Angeklagte im Laufe des Verfahrens an.
In Handtücher eingeschlagen habe sie das Baby daraufhin in der Dachrinne vor dem angrenzenden Badezimmer abgelegt.
Dieser Schilderung widersprach der Staatsanwalt. Seiner Ansicht nach soll die Angeklagte dem Säugling nach der Geburt Mund und Nase zugehalten und ihn so erstickt haben. Darauf habe eine Schwellung zwischen Oberlippe und Nase des Kindes hingedeutet, die bei der Obduktion festgestellt worden war.
Frau hatte ihre Schwangerschaft verheimlicht
Der Vorsitzende Richter wertete allerdings die Einschätzung des sachverständigen Gynäkologen höher. Der Gutachter hatte erklärt, dass eine solche Schwellung bei der Geburt auch durch Druck auf den Kopf entstehen könne.
Zudem sei es möglich, dass ein Kind nach einer verzögerten Geburt zu schlapp sei, um zu schreien. Es wäre allerdings die Pflicht der Angeklagten gewesen, für ärztliche Hilfe zu sorgen: "Das hat sie unterlassen."
Bereits während der Schwangerschaft hatte die Frau ihren Zustand verheimlicht. Vor der streng katholischen Familie stritt sie die Schwangerschaft mehrmals ab. Nur einmal offenbarte sie sich einer Freundin. Deren Bemühungen um einen Arztbesuch scheiterten allerdings.
19-Jährige lehnt Arztbesuch ab
Als die Angeklagte am Morgen der Geburt starke Schmerzen hatte und mehrmals in der Toilette verschwand, bot die Schwester an, einen Arzt zu rufen - die Angeklagte lehnte ab. "Da hätten Sie nur Ja sagen müssen, dann wäre das Kind nicht gestorben", sagte Vögele.
Stattdessen habe die 19-Jährige die Augen vor den Fakten verschlossen: "Sie hat den Kopf in den Sand gesteckt." Aufgrund ihrer Familiengeschichte habe die Angeklagte in der für sie ausweglos erscheinenden Situation nur schwer reagieren können.
Das jahrelange Erleben eines alkoholkranken und gewalttätigen Vaters habe sie traumatisiert. An die Bewährungsstrafe ist deshalb eine therapeutische Betreuung geknüpft. Auch wenn die Angeklagte den Gerichtssaal verlassen könne, nehme sie die Verantwortung für den Tod ihres Kindes mit, gab Vögele der 19-Jährigen mit auf den Weg.
No comments:
Post a Comment