Der Senat antwortet auf Fragen, die der Fall nicht aufwirft, mit Verfassungsgrundsätzen, die das Grundgesetz nicht enthält.
ESM/EZB: Urteilsverkündung sowie
Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union
Abweichende Meinung der Richterin Lübbe-Wolff:
In dem Bemühen, die Herrschaft des Rechts zu sichern, kann ein Gericht
die Grenzen richterlicher Kompetenz überschreiten. Das ist meiner
Meinung nach hier geschehen. Die Anträge hätten als unzulässig
abgewiesen werden müssen. Die Frage, wie Bundestag und Bundesregierung
auf eine Verletzung von Souveränitätsrechten der Bundesrepublik
Deutschland, sei sie kriegerischer oder nicht kriegerischer Art, zu
reagieren haben, ist nicht sinnvoll im Sinne der Auferlegung bestimmter
positiver Handlungspflichten verregelbar. Die Auswahl zwischen den
vielfältigen Möglichkeiten der Reaktion, die von bloßen
Missfallensbekundungen bis hin zum Austritt aus der Währungsgemeinschaft
reichen, kann nur Sache des politischen Ermessens sein. Es verwundert
deshalb nicht, dass sich diesbezügliche Regeln weder dem Verfassungstext
noch der Rechtsprechungstradition entnehmen lassen.
Die Annahme, dass unter näher bestimmten Voraussetzungen nicht nur
positiv-souveränitäts-beschränkende Akte deutscher Bundesorgane, sondern
auch eine bloße Untätigkeit bei qualifizierten Übergriffen der Union
unter Berufung auf Art. 38 Abs. 1 GG angegriffen werden können, weicht
von erst jüngst bekräftigter Rechtsprechung ab, nach der ein Unterlassen
von Bundestag oder Bundesregierung mit der Verfassungsbeschwerde nur
gerügt werden kann, wenn sich der Beschwerdeführer auf einen
ausdrücklichen Auftrag des Grundgesetzes berufen kann, der Inhalt und
Umfang der als verletzt behaupteten Handlungspflicht im Wesentlichen
umgrenzt. Auch für Anträge im Organstreitverfahren hat der Senat noch
kürzlich festgestellt, dass sie nur gegen ein konkretes Unterlassen
zulässig sind, das heißt gegen das Unterlassen einer konkreten als
geboten darstellbaren Handlung. Die Annahme, dass unter anderem ein
bloßes Unterlassen der Bundesregierung, sich auf der Ebene der Union in
bestimmter Weise zu verhalten, zulässiger Gegenstand einer
Verfassungsbeschwerde sein kann, stünde zudem in Gegensatz dazu, dass
selbst positive Mitwirkungshandlungen der Bundesregierung an Beschlüssen
von Organen der Union oder intergouvernementalen Beschlüssen in
Angelegenheiten der Union noch vor kurzem zu untauglichen
Angriffsgegenständen erklärt worden sind.
Regelung zur Wahlberechtigung von Auslandsdeutschen verfassungswidrig
Sondervotum der Richterin Lübbe-Wolff:
Der Senatsbeschluss weicht in überraschender und inhaltlich nicht
überzeugender Weise von der bisherigen ständigen Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts ab.
Der Entwicklung von Mobilität und Kommunikationstechnik, in deren Folge
die früheren Anknüpfungen des Wahlrechts an einen aktuell bestehenden
oder nur wenige Jahre zurückliegenden mindestens dreimonatigen Wohnsitz
oder gewöhnlichen Aufenthalt im Wahlgebiet an Plausibilität eingebüßt
haben, hat der Gesetzgeber durch sukzessiven Abbau der
Wahlrechtsbeschränkungen für Auslandsdeutsche Rechnung getragen. Die
übriggebliebene Anforderung eines mindestens dreimonatigen Aufenthalts
im Wahlgebiet, gleich wie lange er zurückliegt, mag zwar als alleiniges
Kriterium für wahlrechtsrelevantes Kommunikationspotential wenig
einleuchten. Darauf kommt es aber nicht an. Kommunikation ist für die
Demokratie in der Tat essentiell. Was den Zusammenhang angeht, der durch
demokratische Wahlen etabliert wird und etabliert werden soll, ist aber
nicht der Kommunikationszusammenhang, sondern der
Verantwortungszusammenhang der grundlegendere - ein
Verantwortungszusammenhang der wirklichen, ernsten Art, in dem nicht nur
Worte zu wechseln, sondern auch, von Wählern wie Gewählten, Konsequenzen
des eigenen Entscheidungsverhaltens zu tragen sind. Je öfter und weiter
formelle Zugehörigkeit - in Deutschland der Deutschenstatus gemäß Art.
116 Abs. 1 GG - und materielle Betroffenheit von der Staatsgewalt
auseinanderfallen, desto mehr entspricht es daher dem Sinn
demokratischer Wahlen, die Wahlberechtigung nicht allein an die formelle
Zugehörigkeit, sondern darüber hinaus daran zu knüpfen, dass die
Wählenden mit ihrer Wahlentscheidung auf die politische Gestaltung
eigener, nicht fremder, Lebensverhältnisse Einfluss nehmen. Die
Rechtfertigung für die Dreimonatsregel liegt darin, dass sie das dazu
notwendige Mindestmaß an realer Verbindung zur Bundesrepublik
Deutschland wahren soll. In dieser Differenzierungsfunktion
berücksichtigt die Dreimonatsregel einerseits, dass auch bei langjährig
im Ausland wohnhaften Deutschen noch Bindungen an Deutschland gegeben
sein können, die die deutsche res publica zu ihrer Sache machen.
Andererseits verhindert sie, dass das Wahlrecht sich über die durch
Abstammung vermittelte Staatsangehörigkeit auf Personen forterbt, bei
denen die Ausübung des deutschen Wahlrechts nicht mehr ein Akt
demokratischer Selbstbestimmung, sondern nur noch ein Akt der
Mitbestimmung über Andere wäre. Damit ist zwischen gegenläufigen
verfassungsrechtlichen Belangen ein vertretbarer Ausgleich gefunden.
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