Abweichende Meinung des Richters Bryde zum Urteil des Ersten Senats vom 30. Juli 2008 -- 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 --
Mit der Mehrheit des Senats bin ich der Auffassung, dass der Gesetzgeber mit dem Nichtraucherschutz ein besonders wichtiges Gemeinwohlziel verfolgt. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Gefahren nicht nur des Rauchens sondern auch des Passivrauchens sind so eindeutig, dass die staatliche Schutzpflicht für Leben und Gesundheit gefordert ist.
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Ebenfalls mit der Mehrheit halte ich daher auch ein vollständiges Rauchverbot in für die Öffentlichkeit bestimmten Räumeneinschließlich der Gastronomie für verfassungsrechtlich zulässig. Die Berufsfreiheit hat in diesem Fall auch dann, wenn das für einzelne Betriebe tiefgreifende Folgen hat, hinter dem Gesundheitsschutz zurückzutreten. Das wäre noch deutlicher, wenn eine generelle bundesweit geltende Nichtraucherschutzgesetzgebung nicht an -- möglicherweise unbegründeten -- Zweifeln an einer Gesetzgebungskompetenz des Bundes gescheitert wäre. Die wirtschaftlichen Auswirkungen einer solchen generellen Verbannung des Rauchens aus öffentlichen Räumen wäre nämlich für die (mit-)betroffene Gastronomie grundrechtlich nur Reflex gewesen und hätte den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG damit überhaupt nicht mobilisiert. Es ist Teil der Berufsfreiheit, sich im Rahmen der bestehenden Gesetze das Suchtverhalten des Publikums wirtschaftlich zu Nutze zu machen, aber Art. 12 Abs. 1 GG schützt nicht davor, dass der Gesetzgeber solches Verhalten zum Schutz von Leben und Gesundheit erfolgreich bekämpft.
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Im Ansatz kann ich auch der Überlegung der Mehrheit folgen, dass ein Gesetzgeber, der kein absolutes Rauchverbot für die Gastronomie anordnet, sondern Ausnahmen zulässt, dabei nicht willkürlich vorgehen und einzelne Gruppen unverhältnismäßig treffen darf. Das ist jedoch im vorliegenden Fall bei Anwendung der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts üblichen Maßstäbe für die Überprüfung des berufsregelnden Gesetzgebers an Verhältnismäßigkeitsprinzip und Gleichheitssatz auch nicht geschehen. Den angegriffenen Landesgesetzen liegt aus der Perspektive des Gesetzgebers ein schlüssiges Konzept zugrunde. Ich kann nicht erkennen, dass die Landesgesetzgeber das Ziel des Nichtraucherschutzes relativiert hätten, so dass Lebens- und Gesundheitsschutz auch als Abwägungsposition gegenüber wirtschaftlichen Interessen relativiert werden könnten. Die Gesetze wollen Nichtrauchern eine rauchfreie Gastronomie garantieren, das heißt mindestens einen rauchfreien Hauptraum. Ausnahmen vom Rauchverbot sollen nur insoweit zugelassen werden, als diese den Nichtraucherschutz nicht gefährden. Die Umsetzung dieses Konzepts mag dem Gesetzgeber nicht perfekt gelungen sein. Die Annahme, Festzelte glichen eher Außenbereichen als Innenräumen ist möglicherweise wissenschaftlich unzutreffend und auch die Zulassung des Rauchens in Nebenräumen mag in der Praxis Auswirkungen auf Nichtraucher haben. Aber nach der Einschätzung des Gesetzgebers sollte das gerade nicht der Fall sein, er wollte den Nichtraucherschutz so umfassend garantieren wie möglich und nur dort zurücktreten lassen, wo er keinen Schutz für nötig hielt. Wenn er dabei geirrt hat, mag die praktische Erfahrung den Gesetzgeber zum Nachbessern zwingen, das gefundene Modell liegt aber im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative. Er hätte sich umgekehrt Vorwürfen einer unverhältnismäßigen Regelung ausgesetzt, wenn er das Rauchen auch dort noch verboten hätte, wo dies nach seiner vertretbaren Einschätzung für den Nichtraucherschutz nicht erforderlich ist.
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Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber bei der Regelung der Berufsausübung mit Recht in ständiger Rechtsprechung einen weiten Spielraum eingeräumt, der auch notwendig ist, will es nicht zum Ersatzgesetzgeber werden. Das gilt besonders beim Schutz von wichtigen Gemeinschaftsgütern -- und mit Leben und Gesundheit stehen hier die wichtigsten auf dem Spiel --, bei dem der Gesetzgeber von Verfassungs wegen ohnehin schon zwischen Untermaßverbot hinsichtlich einer möglichen Verletzung der Schutzpflicht und Übermaßverbot hinsichtlich der durch die Regelung Betroffenen eingeklemmt ist. Davon weicht die Mehrheit im vorliegenden Fall ab. Dabei wäre das Festhalten an einem weiten Spielraum gerade hier wichtig. Eine gesetzliche Reform wie der Nichtraucherschutz -- aber Vergleichbares ließe sich für viele Fälle aktueller Reformbemühungen im Verbraucher-, Umwelt- und Gesundheitsschutz sagen -- ist ein politischer Kraftakt, bei dem der Gesetzgeber massivsten Widerständen mächtiger Lobbys ausgesetzt ist. Welche Widerstände zu überwinden waren, zeigt sich schon daran, dass die Bundesrepublik Deutschland im Nichtraucherschutz ein Nachzügler in Westeuropa ist. Unter solchen Bedingungen wird im ersten Anlauf häufig nur ein mehr oder weniger durchlöcherter Kompromiss möglich sein -- und Kompromiss ist geradezu Wesensmerkmal demokratischer Politik. Das Bundesverfassungsgericht darf keine Folgerichtigkeit und Systemreinheit einfordern, die kein demokratischer Gesetzgeber leisten kann. Zwingt man den Gesetzgeber unter solchen politischen Rahmenbedingungen in ein alles oder nichts, indem man ihm zwar theoretisch eine -- politisch kaum durchsetzbare -- Radikallösung erlaubt, aber Ausnahmen und Unvollkommenheiten benutzt, die erreichten Fortschritte zu kassieren, gefährdet das die Reformfähigkeit von Politik.
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