Politik aus Karlsruhe
Christian Rath: "Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgericht", Wagenbach Verlag
Von Gudula Geuther
Die deutschen Verfassungsrichter sind mächtiger als
Politiker, schreibt der rechtspolitische Zeitungskorrespondent
Christian Rath in seinem Buch über das Bundesverfassungsgericht. Er
bescheinigt dem Gericht aber, sehr verantwortungsvoll mit seiner Macht
umzugehen.
Wie politisch ist das Bundesverfassungsgericht? Die Frage ist älter
als das Gericht selbst. Wer einem Gericht die Macht gibt,
Entscheidungen des Gesetzgebers für verfassungswidrig zu erklären, wer
ein Gericht darüber entscheiden lässt, welches von zwei
Verfassungsorganen, die sich über Kompetenzen streiten, recht hat, gibt
diesem Gericht politische Macht in die Hand. Das wussten auch die Väter
und Mütter des Grundgesetzes. Und diejenigen, die 1951 den Sitz des
jüngsten Verfassungsorgans eröffneten. Darunter ein nachdenklicher
erster Gerichtspräsident, Herrmann Höpker-Aschoff:
"Man könnte erschrecken vor der Last der Verantwortung, die hier auf unsere Schultern gelegt wird. Wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, unsere politisch-sachlichen Erwägungen an die Stelle der Erwägungen des Gesetzgebers zu setzen. Wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, selbst den Gesetzgeber spielen zu wollen."
Erliegt das Gericht den Versuchungen? Das ist eine der Fragen, mit denen sich Christian Rath in dem Bändchen "Der Schiedsrichterstaat" beschäftigt. Der rechtspolitische Korrespondent von Zeitungen wie "taz" und "Badischer Zeitung", Christian Rath, begreift Deutschland in mehrfacher Hinsicht als Schiedsrichterstaat: Dadurch, dass die Schiedsrichter, die Verfassungsrichter, seiner Ansicht nach mächtiger sind als die Akteure selbst, die Politiker. Oder auch dadurch, dass die Schiedsrichter so mächtig sind, dass sie selbst die Regeln bestimmen, die sie anwenden. Eine große Entscheidungsfreiheit des Bundesverfassungsgerichts, glaubt Christian Rath, sei aber schon der Sache nach vorgegeben:
"Viele Leute denken ja, im Grundgesetz steht die Lösung der Fälle, die das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hat, bereits drin. Das ist in der Regel nicht so. Eine Verfassung ist kurz und dunkel, also abstrakt, und muss ausgelegt werden."
Rath findet Beispiele für diese Freiheit.
"Wenn zum Beispiel im Grundgesetz die Demokratie als Staatsziel geschützt ist, dann ist damit eben nicht gesagt, ob damit ein Ausländerwahlrecht vereinbar ist oder nicht. Der Hamburger Gesetzgeber sagte: Ja, Demokratie ist besser gewährleistet, wenn Ausländer als Betroffene auch wählen können. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Nein, nur Deutsche sind das Staatsvolk. Deswegen ist ein Ausländerwahlrecht verfassungswidrig. An so einem Beispiel lässt sich sehr deutlich zeigen, wie das Bundesverfassungsgericht durch die Auslegung des Grundgesetzes handfest Politik macht - und machen muss. Weil es die Maßstäbe, die es anwenden muss, in der Regel durch Anwendung erst selbst schafft."
Dabei ist nicht nur die Frage, welche politische Haltung sich durchsetzt, sondern auch, wann sie das tut. Die Verfassungsrichter urteilen - notgedrungen - im Nachhinein. Und lassen dadurch diejenigen, gegen die sie urteilen, schlecht aussehen, auch den Gesetzgeber. Das ist die kritische Note in Raths Analyse.
"Da das Bundesverfassungsgericht das beliebteste Staatsorgan ist, schafft es zwar Akzeptanz für den Staat, die Bundesrepublik Deutschland, als solchen. Aber das Ganze geht dann doch auf Kosten der Politik, die dann doch so dasteht, als hätte sie das Grundgesetz nicht richtig lesen können, nicht richtig verstanden oder sogar bewusst unterlaufen."
Und dieser Eindruck wiederum schade den demokratischen Institutionen. Auch dieser Befund ist nicht neu. Unter anderem vor zwei Jahren, im Jubiläumsjahr des Bundesverfassungsgerichts, wurde dieses Argument vorgebracht, sogar so kritisch, dass Autoren die Institution Bundesverfassungsgericht als solche hinterfragten.
Während viele andere Veröffentlichungen ganz im Gegenteil für die Richter und ihre Rolle Partei ergreifen. Christian Rath wägt ab - Beispiel Europa:
"Gerade in der Europapolitik ist es, glaube ich, sehr wichtig, dass das Bundesverfassungsgericht den anti-europäischen Strömungen, die in der Politik im Bundestag nicht wirklich zu Wort kommen oder nur minoritär, wie einzelne Abgeordnete, einen Raum gibt. Wenn Einzelne klagen, dann sind sie gleichberechtigt auf einmal mit der Regierung, werden ernst genommen, fühlen sich auch ernst genommen. Das hat durchaus eine wichtige Integrationsfunktion, auch wenn am Ende die Verträge, die die Regierung mit ausgehandelt hat, im Kern immer bestätigt wurden zuletzt."
Nur habe auch das wieder eine Kehrseite für die demokratische Akzeptanz. Denn:
"Trotzdem schafft das Gericht durch diese Nadelstiche, in denen es immer wieder eben auch diese anti-europäischen Stimmungen aufwertet und ernst nimmt und selbst befördert, indem es Grenzen der Integration aufstellt, einen Stimmungswandel in Deutschland, den ich als Diskursmacht des Verfassungsgerichts bezeichnen würde."
Es sind diese Wirkungen über das einzelne Urteil hinaus, die Rath besonders interessieren: Wie schafft das Gericht Akzeptanz auch für umstrittene Entscheidungen des Gesetzgebers? Indem es hie und da etwas kritisiert aber gleichzeitig die Grundentscheidung billigt. Das ist eine der Thesen - Rath spricht von der Akzeptanzmaschine.
In diesem Sinn ist das Buch vielfach wohlwollend gegenüber dem Gericht, dem der Autor bescheinigt, sehr verantwortungsvoll mit seiner Macht umzugehen. Die trotzdem vielfach mitschwingende Kritik richtet sich eher gegen den gesellschaftlichen Grundbefund: mit der schon häufig und so auch hier geäußerten These, der Deutsche sei historisch zuerst dem Rechtsstaat und erst dann der Demokratie verpflichtet.
Mit eben der Folge, dass die Demokratie leide. Und dass die Richter ihre Wertschätzung erhöhten, indem sie politikfern schienen. Gerade in der Frage, warum dieses Gericht so hohe Achtung genießt, zeigt sich aber der fast liebevolle Blick des langjährigen Karlsruhe-Beobachters: Von der immer wieder gelingenden Mediation über den Minderheitenschutz, die Bürgernähe oder den klugen Einsatz von zur Schau gestellter Einigkeit. Ist das Gericht nun nach alledem politisch? Bei der Vorstellung des Buches Ende Februar in Karlsruhe wählte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle die zurückhaltende Interpretation:
"Wenn mit politischem Gericht gemeint ist, dass das Gericht auch eine gewisse Folgenverantwortung hat, dass es Spielräume der Interpretation gibt, dass Rechtsanwendung kein mechanistischer Vorgang ist, dann hat das Gericht auch eine gewisse politische Dimension. Dann hat aber jede Form von Rechtsprechung eine gewisse politische Dimension."
Solche Ansichten diskutiert das Bändchen nicht, es bildet eher essayistisch die Meinung des Autors ab, ohne Auseinandersetzung mit den vielen Veröffentlichungen und anderen Meinungen über das Gericht, dafür mit Verbesserungsvorschlägen. Ein wissenschaftliches Buch ist es schon deshalb nicht.
Dafür wirft es mit der Fokussierung auf den Schiedsrichterbegriff - in gut lesbarer Form - einen ganz eigenen Blick auf das Verfassungsgericht und seine Wirkungen im Gefüge von Staat und Gesellschaft.
Christian Rath: "Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgericht"
Klaus Wagenbach Verlag, 95 Seiten, 14,90 Euro, ISBN: 978-3-80313-646-6
"Man könnte erschrecken vor der Last der Verantwortung, die hier auf unsere Schultern gelegt wird. Wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, unsere politisch-sachlichen Erwägungen an die Stelle der Erwägungen des Gesetzgebers zu setzen. Wir dürfen nicht der Versuchung erliegen, selbst den Gesetzgeber spielen zu wollen."
Erliegt das Gericht den Versuchungen? Das ist eine der Fragen, mit denen sich Christian Rath in dem Bändchen "Der Schiedsrichterstaat" beschäftigt. Der rechtspolitische Korrespondent von Zeitungen wie "taz" und "Badischer Zeitung", Christian Rath, begreift Deutschland in mehrfacher Hinsicht als Schiedsrichterstaat: Dadurch, dass die Schiedsrichter, die Verfassungsrichter, seiner Ansicht nach mächtiger sind als die Akteure selbst, die Politiker. Oder auch dadurch, dass die Schiedsrichter so mächtig sind, dass sie selbst die Regeln bestimmen, die sie anwenden. Eine große Entscheidungsfreiheit des Bundesverfassungsgerichts, glaubt Christian Rath, sei aber schon der Sache nach vorgegeben:
"Viele Leute denken ja, im Grundgesetz steht die Lösung der Fälle, die das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hat, bereits drin. Das ist in der Regel nicht so. Eine Verfassung ist kurz und dunkel, also abstrakt, und muss ausgelegt werden."
Rath findet Beispiele für diese Freiheit.
"Wenn zum Beispiel im Grundgesetz die Demokratie als Staatsziel geschützt ist, dann ist damit eben nicht gesagt, ob damit ein Ausländerwahlrecht vereinbar ist oder nicht. Der Hamburger Gesetzgeber sagte: Ja, Demokratie ist besser gewährleistet, wenn Ausländer als Betroffene auch wählen können. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt: Nein, nur Deutsche sind das Staatsvolk. Deswegen ist ein Ausländerwahlrecht verfassungswidrig. An so einem Beispiel lässt sich sehr deutlich zeigen, wie das Bundesverfassungsgericht durch die Auslegung des Grundgesetzes handfest Politik macht - und machen muss. Weil es die Maßstäbe, die es anwenden muss, in der Regel durch Anwendung erst selbst schafft."
Dabei ist nicht nur die Frage, welche politische Haltung sich durchsetzt, sondern auch, wann sie das tut. Die Verfassungsrichter urteilen - notgedrungen - im Nachhinein. Und lassen dadurch diejenigen, gegen die sie urteilen, schlecht aussehen, auch den Gesetzgeber. Das ist die kritische Note in Raths Analyse.
"Da das Bundesverfassungsgericht das beliebteste Staatsorgan ist, schafft es zwar Akzeptanz für den Staat, die Bundesrepublik Deutschland, als solchen. Aber das Ganze geht dann doch auf Kosten der Politik, die dann doch so dasteht, als hätte sie das Grundgesetz nicht richtig lesen können, nicht richtig verstanden oder sogar bewusst unterlaufen."
Und dieser Eindruck wiederum schade den demokratischen Institutionen. Auch dieser Befund ist nicht neu. Unter anderem vor zwei Jahren, im Jubiläumsjahr des Bundesverfassungsgerichts, wurde dieses Argument vorgebracht, sogar so kritisch, dass Autoren die Institution Bundesverfassungsgericht als solche hinterfragten.
Während viele andere Veröffentlichungen ganz im Gegenteil für die Richter und ihre Rolle Partei ergreifen. Christian Rath wägt ab - Beispiel Europa:
"Gerade in der Europapolitik ist es, glaube ich, sehr wichtig, dass das Bundesverfassungsgericht den anti-europäischen Strömungen, die in der Politik im Bundestag nicht wirklich zu Wort kommen oder nur minoritär, wie einzelne Abgeordnete, einen Raum gibt. Wenn Einzelne klagen, dann sind sie gleichberechtigt auf einmal mit der Regierung, werden ernst genommen, fühlen sich auch ernst genommen. Das hat durchaus eine wichtige Integrationsfunktion, auch wenn am Ende die Verträge, die die Regierung mit ausgehandelt hat, im Kern immer bestätigt wurden zuletzt."
Nur habe auch das wieder eine Kehrseite für die demokratische Akzeptanz. Denn:
"Trotzdem schafft das Gericht durch diese Nadelstiche, in denen es immer wieder eben auch diese anti-europäischen Stimmungen aufwertet und ernst nimmt und selbst befördert, indem es Grenzen der Integration aufstellt, einen Stimmungswandel in Deutschland, den ich als Diskursmacht des Verfassungsgerichts bezeichnen würde."
Es sind diese Wirkungen über das einzelne Urteil hinaus, die Rath besonders interessieren: Wie schafft das Gericht Akzeptanz auch für umstrittene Entscheidungen des Gesetzgebers? Indem es hie und da etwas kritisiert aber gleichzeitig die Grundentscheidung billigt. Das ist eine der Thesen - Rath spricht von der Akzeptanzmaschine.
In diesem Sinn ist das Buch vielfach wohlwollend gegenüber dem Gericht, dem der Autor bescheinigt, sehr verantwortungsvoll mit seiner Macht umzugehen. Die trotzdem vielfach mitschwingende Kritik richtet sich eher gegen den gesellschaftlichen Grundbefund: mit der schon häufig und so auch hier geäußerten These, der Deutsche sei historisch zuerst dem Rechtsstaat und erst dann der Demokratie verpflichtet.
Mit eben der Folge, dass die Demokratie leide. Und dass die Richter ihre Wertschätzung erhöhten, indem sie politikfern schienen. Gerade in der Frage, warum dieses Gericht so hohe Achtung genießt, zeigt sich aber der fast liebevolle Blick des langjährigen Karlsruhe-Beobachters: Von der immer wieder gelingenden Mediation über den Minderheitenschutz, die Bürgernähe oder den klugen Einsatz von zur Schau gestellter Einigkeit. Ist das Gericht nun nach alledem politisch? Bei der Vorstellung des Buches Ende Februar in Karlsruhe wählte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle die zurückhaltende Interpretation:
"Wenn mit politischem Gericht gemeint ist, dass das Gericht auch eine gewisse Folgenverantwortung hat, dass es Spielräume der Interpretation gibt, dass Rechtsanwendung kein mechanistischer Vorgang ist, dann hat das Gericht auch eine gewisse politische Dimension. Dann hat aber jede Form von Rechtsprechung eine gewisse politische Dimension."
Solche Ansichten diskutiert das Bändchen nicht, es bildet eher essayistisch die Meinung des Autors ab, ohne Auseinandersetzung mit den vielen Veröffentlichungen und anderen Meinungen über das Gericht, dafür mit Verbesserungsvorschlägen. Ein wissenschaftliches Buch ist es schon deshalb nicht.
Dafür wirft es mit der Fokussierung auf den Schiedsrichterbegriff - in gut lesbarer Form - einen ganz eigenen Blick auf das Verfassungsgericht und seine Wirkungen im Gefüge von Staat und Gesellschaft.
Christian Rath: "Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgericht"
Klaus Wagenbach Verlag, 95 Seiten, 14,90 Euro, ISBN: 978-3-80313-646-6
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